Samstag

Kopplung des Kleinhirns an Ereignis X

"Ich dachte, vielleicht können wir Freunde sein?" sagte das kleine Tier zum Großen.
"Wie stellst du dir das vor? Wir sind ja nichtmal gleichgroß."
[Verzweiflung, Nahaufnahme, Cut]
Ich sitze auf dem klebrigen U-Bahnsitz und sehe Berliner Fenster. Mir gegenüber abgefuckte Studenten in Pastell, the color to wear at the moment for those who have nothing but love.
Der Kurzfilm hat sieben alternative Filmpreise gewonnen, lief in Cannes und Berlin vor Hunderten und jetzt werfen sie ihn uns in der U6 um halb vier früh vor die Füße. Kulturbombing, ich wollte meine Doktorarbeit darüber schreiben aber jetzt habe ich besseres vor.
Befinde mich auf Studienreise, Absurdes und Wahres zu studieren, inmitten von Kotze und Liebe und Krankheit, inmitten von Berlin.
Die Studenten vor mir streichen liebevoll über die mellierten Plastikbezüge der Sitze [graubraungelb], ich tippe auf einen fiesen Trip. Andauernd referiere ich über das Übel chemischer Drogen, es ging soweit dass ich beinahe in einen Rechtsstreit mit dem Berghain geraten bin. Beinahe. Ich hatte drei selbstgemalte Plakate an deren Wand geheftet, ein Türsteher rief mir zu, ich solle das doch bitte lassen, ich wollte nein sagen, rannte jedoch weg. Aber ich war wirklich kurz davor. Echt.
Steige aus, Hallisches Tor. Noch am Bahnsteig zücke ich mein Notizbuch und schreibe über eine komplette Seite GENTRIFIZIERUNG. Ich finde das sehr passend. Ich ziehe mich nämlich täglich selbst an den Haaren aus dem Sumpf indem ich immer und immer wieder meinen Hass auf alles pseudoalternative mit Mate wie einen Schild vor mir her trage. Dabei bereite ich den armen Künstlern mit nichttauglichen Brillen und Stoffbeutreln, die alle [!!!] viel zu hohe Mieten bezahlen, ein Einheitsklischee und sitze irgendwann ausgelaugt allein im Wedding, dem Land wo noch Milch und türkischer Honig fließen.
Also streiche ich GENTRIFIZIERUNG und schreibe auf die nächste Seite ITS BEEN A WHILE AND YOU FOUND SOMEONE BETTER.
Nicht sicher um die Rechtschreibung.
Abgefuckt.
Ich bin übertrieben rebellisch drauf und trete eine Werintraube kaputt. Weil die da liegt.
Dann verlasse ich den U-Bahnhof und denke "Fuck, es ist hell und ich habe nichts gelernt, education is bullshit und ich will schlafen."
Darum: Wieder runter, rein in den Bahnhof, die Bahn und auf den Vierer, wo eine junge Frau mit Brille sitzt und hektisch in ihrem Notizbuch herumstreicht.
"Sorry? Kann ich dich was fragen?"
Sie blickt nervös von ihren Seiten auf und guckt irritiert.
"Für ne Studie, gewissermaßen."
"Ja, klar...?"
"Bist du ausm Wedding?"
Sie sieht mir in die Augen, dann atmet sie ein, checkt mich ab und dann gehts los:
"Fich dich, alter! Natürlich! Seh ich aus wie son Pseudoalternativer Pastellstudent aus London oder Prenzlberg? Mutter bin ich auch nicht und weißt du was?! Ihr beschissenen gentrifizierten Kreuzberger könnt mich mal sowas von, macht Kunst die keine ist und druckt sie euch auf euzre Beute! Berlin ist übertrieben Hipster! Yeah man, Und Brillen, die wir nich brauchen! Ich kotz dich gleich an, wirklich, nimm die ab oder ich tret dir in die Magengrube dass dein Thaicurry von heute dazwischen-aml.snacken wieder rauskommt!"


[Ich nehme meine Brille ab und schreibe: EREIGNISLOS bei Heute]

Mittwoch

Und im Schulfenster saß heute dieser Waschbär

ich frage mich manchmal, ob ich träume.

Ich bin dir wirklich dankbar, dass du meine Wahlbenachrichtigung gegessen hast.


[Der Grüne und der Pirat betreten das Foyer der UDK, mit schnellen, gezielten Schritten Richtung Sekreteriat]

Grüner: Ja, ja, ja. Nett, und wer bezahlt das bengalische Mädchen, dass den Treppenaufgang putzt?! Wohl nicht der Schäuble?!
Pirat: Welches Mädchen? An Bord haben wir bloß den dünnen Christof, den Leng. Der schrubbt das Deck allein, weil bei uns da ist die Hierachie abgeschafft, jawollska!
Grüner: Die Bengalesin.
Pirat: "Bengalesin" ist ein politisch falscher Begriff, geprägt von diversen Autoren des frühen Dadaismus, ich bitte sie.
Grüner: Achso. Man kann also sagen-
Pirat: -und Frau!
Grüner: - Und Frau kann sagen: Bengalin wäre treffender.
Pirat: Aye.
Grüner: Ei, schauen sie. Wir haben soeben das Büro der Sekretärsperson erreicht, legen wir konservative Verhaltensmuster ab, richten den Thermobecher Kaffee aus Fairtrade und gehen wir hinein!
Pirat: Cool, ja. Hab Facebook seit ner Stunde nicht gecheckt, vielleicht Wählerpost. Meinen sie, die Sekretsperson hatn Mac oder nutzen die hier Linux?
Grüner: Psst, wir sind auch für die Arbeiter hier. Also geben sie Ruhe wenn sie Windows98 bekommen.
Pirat [maulend]: Ich mag aber auf Eitunes den pottcast von Bauerfeind runterladen, die haben was über die schädlichleit von Kerosin im Internet gebracht!!
Grüner [lauter werdend]: Gib Ruhe!
[Beide betreten ohne zu klopfen den Raum und sehen sich einer attraktiven jungen Frau mit rotem Harr gegenüber. Sie ist schwarz]
Frau [mit hörbarem prenzlauerberger Akzent]: Eigene Latten nicht bitbringen, ne. Das sehen wir von der UDK ungern, OBWOHL wir alternative Künstler sind und auch gern im Mauerpark ausstellen. Aber der neue Mauerpark ist die Hasenheide, da ist es Multikulti.
Pirat: Sie sind heiß und weil ich Anarchist bin, kann ich ihnen das auch sagen, tjo.
Grüner [lächelt verlegen und schwitzt]: Ich liebe sie auch aber die Reante liebe ich noch viel mehr. Die Renate sorgt. Und darum bin ich hier.
Pirat: Ich bin hier, weil sie heiß sind.
Grüner: Wählen sie Die Grünen und Renate kämmt auch sie!
Pirat: Die hat doch schon so tolles Haar!
Grüner [verlegener]: kämpft, ich meine: Kämpft!
Frau [Sieht verwirrt von einem zum anderen, bleibt dann am Pirat hängen, der deutlich Jünger ist als der Grüne]: Können wir uns mal eben allein unterhalten?
Grüner [Missmutig]: Nö?
Pirat: Wenn sie mir dann ihren Mac mal zeigen?
Frau [Aufreizend]: ich habe Linux.
Grüner: Na die Bengalesische Stimme ist mir jetzt auch egal.

[Pro Deutschland kommt in den Raum, unterbrechen die Dame und den Piraten, die schon angefangen hatten irgendetwas informatisches zu tun und rufen: Raus aus den Burkas, dann, im Anschluss ein paar graue Panter auf Rolatoren, die Stöcke schwingend]

Alle im Chor: Deine Stimme für die SED!



Montag

how I missed a girl.

Ich sitze jetzt bloß noch allein in dem Hinterhof wo man Limonade bekommt, alle anderen stehen wieder vor der Hochhausfassade und sind beeindruckt.
Lasst mich nicht hier.
Aber sie sind gegangen um zu erfahren, was Ekstase bedeutet.
Ich sitze mit einer Zigarette im Mundwinkel auf einem schwarz- weiß- Foto und spekuliere über Anziehungskraft.
Ich Dich Du Mich, dann brülle ich dreckige Punksongs in ein dreckiges Mikrofon und schreibe Liebeslieder und hasse mich selbst- Identität und Krise sind verschiedene Faktoren auf einem Segelboot. Nautik lernt man im Schlaf.
Und ich kann auch nichts dafür, dass ich mal mein wichtigstes Organ verschenkt habe.
Darum beschränke ich mich jetzt aufs Hirn, es sagt es wolle nur eins aber ich bringe ihm Verzicht bei, das ist wie mit T9 etwas zu lernen.

HCI ESSIMREV HCID.

Freitag

Tell me life is real.

Ich laufe, verkleidet als Karell Gott durch den Wedding und verteile Autogrammkarten an dicke Jungs. Ihre Augen zucken hin und her, in Gedanken an das letzte gefangene Pokémon im Dungeon. Wenn du groß bist, sage ich zu einem Zwöljährigen mit Vollbart, dann kannst du vielleicht als Backgroundsänger bei mir anfangen!
Ich hatte ihn zuvor beobachtet, wie er mit glockenklarer Stimme "Ich ficke deine Mutter denn deine Mutter klaut bei Kick" gesungen hatte, Und dann behauptet man in der Abteilung für Jugend, Bildung und Sport, die Heranwachsenden machten nichts mehr aus sich!
In einem plötzlichen Anfall von Ekstase werfe ich alle Autogrammkarten wie einen Zauberregen auf die Menge verwirrter Weddinger und laufe davon.
Mein viel zu langer Karell- Gott- Mantel behindert mich sehr in meiner Beweglichkeit, weswegen ich schon nach zwanzig Metern anhalte um mir eine Tüte gerösteter Kerne zu genehmigen. Der Verkäufer, ein krauser alter Mann, fällt mir um den Hals und ruft: " Sie sind doch die Kristina Stürmer! Meine Kinder lieben sie!" Ja, die bin ich, sage ich um das Tütchen Nüsse umsonst zu bekommen und schreibe "Kristina" auf sein Handgelenk. Der künstliche Bart kitzelt mich gewaltig.
"Danke!", schreit er noch, da bin ich schon längst von Drogenfahndern betäubt, die nach Amy Winehouse suchen und sich wohl auf der Insel der 27- Jährigen glaubten. ich spüre meine Beine nicht mehr.
Dann wird alles schwarz.


Als ich aufwache, sitzt Jim Jarmusch an meinem Krankenbett und singt I Put A Spell On You, er dachte, das könne mich erheitern. Aber mich erheitert gar nichts weil ich blöder Esel die Hochglanzautogrammkarten weggeworfen habe! Was hat mich bloß geritten!
Ich muss los! Danke für alles, rufe ich der Schwester zu, die mich anzwinkert und gehen lässt. Ich habe allerdings zwei gebrochene Beine und klaue darum ein Waveboard, natürlich kann ich ausgezeichnet fahren und falle nicht einmal hin. Bis ein Tourist mich nach dem Weg zum Axel- Springer- Haus fragt, da muss ich vor Empörung eben absteigen und sage ihm dann den weg zum offenen Kanal Berlin, es läuft nämlich grad eine Sendung über Naivität und es fehlten die ganze Zeit Studiogäste.
Fahre also weiter, Richtung Oberschöneweide, weil mein Orientierungssinn einer Bratwurst gleicht.
Und dann verheddert sich der Drecksmantel auch noch in den Speichen meiner Gedanken und ein kitschiges Lied kommt aus den IPhone- Lautsprechern eines Pressesprechers.
Dann wache ich auf.

Donnerstag

un peu sentimentalement

Die Katze verlässt den Kreisverkehr!
Ein türkisblauer See, unter dem ein ganzes Dorf schlummert, mitten in der Provence.
Mein kleines rotes Zelt auf dem Berg, unter mir die Hippies in der Hippiebar, es läuft ganz laut ein Lied, dass ich vergessen hatte.
Meine Füße rutschen ab, an Wasserfällen und Schluchten und ich halte eine Bassgitarre in der Hand.
Ich male viel in mein neues Notizbuch, es ist schwarz und wenn ich damit auf einem der Felsen über dem Wasser sitze, bemerkt mich Niemand.
Baguette.
Badetücher wickeln Französinnen mit schweren Wimpern ein, der Regen fällt eigentlich nie, außer auf mein Bein.

Ich habe die Schildkröte vergessen, sie lugt aus meinem Rucksack. Ich gebe mich dem Wein hin und der Musik und... die Franzosen nennen es la passión.
Ich muss die ganze Schönheit, die ich so zu sehen bekomme, in eine Kiste stecken und verwahren, sonst vergesse ich sie.


Ich werd mir eben soeine Kiste zulegen.